Über den Wolken…

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Abschlussbericht vom Sabbatical/unbezahlter Urlaub von Martina Brendler vom 01. Januar – 31. August 2020

Über den Wolken…

Dieses Lied von Reinhard Mey habe ich am Lagerfeuer mit der zu meiner Zeit noch „evangelischen weiblichen Jugend“ mit Inbrunst gesungen. Das war aber nicht ausschlaggebend für meine Anfrage um ein „Praktikum“ bei der Flughafen -Kirche Zürich. Ich hatte den Wunsch, in meinem Sabbatical Praxiserfahrungen in einem Bereich zu sammeln, wo Kirche in einem säkularen Umfeld agiert. Ausserdem suchte ich neben dem Lehrgang in Mediation noch ein theologisches Betätigungsfeld.

Das Seelsorgeteam der Flughafenkirche Zürich liess mich an ihren Einsätzen teilnehmen. Andrea Thaly (kath. Pastoralreferentin), Stephan Pfenniger (ref. Pfarrer) und Jacqueline Lory (ref. Sozialdiakonin) haben mich ab dem 7. Januar während zwei Tagen in der Woche in Sachen Flughafenseelsorge gebrieft. Ich erlebte ein hoch professionelles ökumenisches Team, welches Seelsorge an Mitarbeitenden des Flughafens, Reisenden, Asylsuchenden und jenen, die aus welchen Gründen auch immer am Flughafen stranden, leisten. Das Seelsorgeteam ist für alle da, auf geistlicher, mitmenschlicher, beratender und sozialdiakonischer Ebene, ungeachtet der Nationalität oder Religion. Wer kommt, der bekommt Hilfe, die er/sie braucht. Und es kommen viele, teilweise werden sie von der Polizei gebracht oder suchen von sich aus Unterstützung. Manchmal muss man die Botschaft des Landes kontaktieren, aus dem der Betreffende kommt, oder eine Übernachtungsmöglichkeit in Zürich organisieren. Vernetzung ist hier ein wichtiges Thema.  

Die Flughafenseelsorge ist in jedem Bereich des Flughafens bekannt und erkennbar und Teil des Systems. Ich durfte nicht nur mit in den Transit-Asylbereich, sondern z.B. auch ins Airport - Kontrollzentrum gehen, wo an den Bildschirmen jeder Bereich des Flughafens sichtbar ist. Gottesdienste und ein Mittagsgebet (1x pro Woche) sind regelmässige Angebote, die ich mitgestalten durfte. Ein Team von Freiwilligen steht ebenfalls für koordinierte Einsätze zur Verfügung.

Als Mitte März der Lockdown begann, waren die Auswirkungen am Flughafen Zürich heftigst zu spüren. Gespenstische Leere vor den geschlossenen Schaltern, Flugzeuge in Parkposition und geschlossene Geschäfte. Das fühlte sich nicht gut an. Ende Juni konnte ich wieder an die bisher gemachten Erfahrungen anknüpfen, aber es war nicht mehr dasselbe. Seelsorgegespräche fanden wieder statt, Gottesdienste aber nicht. Das Mittagsgebet wurde zum Podcast wie an anderen Orten auch und kann bei Interesse nachgehört werden unter www.Flughafenkirche.com.

…muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…

Das CAS Modul „Mediation“ ist eines von dreien des Lehrgangs „psychosoziale Beratung“, der an der Fachhochschule St. Gallen durchgeführt wird. Mit im Boot ist auch die Fachhochschule Vorarlberg, weshalb viele Unterrichtsstunden in Lochau (hinter Bregenz) stattfanden. So lernt man die Welt kennen.

Unter Mediation versteht man „ein freiwilliges Verfahren der Konfliktbearbeitung, in dem fachlich ausgebildete Dritte (Mediator/-innen) die Konfliktbeteiligten darin unterstützen, ihren Streit einvernehmlich zu lösen. Die Mediator/-innen fördern als unparteiliche Dritte die Lösungserarbeitung, sind allen Beteiligten gleichermassen verpflichtet, interessenunabhängig und sorgen für einen fairen, transparenten und effizienten Ablauf der Mediation.“

Das hört sich leicht an, erfordert aber ein aussergewöhnlich hohes Mass an Einfühlungsvermögen, sozialer Kompetenz, Geduld, Führungsqualität und Beständigkeit. Mediationen gibt es im Bereich Partnerschaft, in Gruppen und Teams, im Bereich Wirtschaft, bei Erbengemeinschaften, Streitigkeiten unter Nachbarn usw. Neben psychosozialen Aspekten spielen auch juristische Kenntnisse eine Rolle. In meinem Lehrgang wurde das Erlernte in mehreren Prüfungen abgefragt. Die Kenntnis mediativer Ansätze und Verfahren ist für jede Art von Kommunikation in beruflichen und privaten Kontexten sehr bereichernd. Unser Kurs wurde während des Lockdowns per Video weitergeführt und wir bekamen Arbeitsaufträge. Desweiteren wurden die Präsenzstunden im Juni/Juli nachgeholt, der Kurs wird nun Anfang November abschliessen.

Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man, blieben darunter verborgen…

Die Auszeit zur Weiterbildung hat mir sehr gutgetan und ich bedanke mich sehr herzlich, dass ihr dies möglich gemacht habt. Ich habe sehr viel von diesen Monaten profitiert. Ich freue mich auf den Wiedereinstieg ins kirchgemeindliche Leben und hoffe, dass nicht nur ich, sondern auch die Kirchbürgerinnen und Kirchbürger von meiner Sabbatical - Zeit etwas Positives spüren werden.

DANKE!

 

…und dann würde, was uns gross und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein.

Die Corona-Zeit war für mich und meine Familie gesundheitlich nicht spürbar. Andere Auswirkungen, wie ausfallender Unterricht und verschobene Prüfungen, waren natürlich schon zu bewältigen. Die Tatsache, dass mein Sabbatical von Anfang an nicht als Auslandsaufenthalt konzipiert war, erwiess sich in dieser Zeit als Vorteil. Schlussendlich wurden alle Prüfungen mit gutem Erfolg bestanden. Auch dafür bin ich sehr dankbar.

Der Gitarrenunterricht fand dann auch statt. Das Lied „Über den Wolken“ kann ich leider noch nicht spielen –deshalb wird mich dieses Sabbatical - Projekt noch weiter begleiten.

Martina Brendler

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